Band 3: Leseprobe 1
19.3.3 - Der Maßstab des Designs ist der Mensch
[...] Für Designer wie für Architekten gilt
der Mensch als das Maß aller ihrer Objekte.
Arbeitsaufgabe 211:
Überprüfen Sie wenigstens zwei gerade für Designer wichtige Maßangaben an Möbeln in Ihrem Haushalt:1110
1. Tischhöhe: 70 bis 80 cm. – Die Tischplatte muss sich (für sitzende Erwachsene) sowohl zum Essen als auch für Arbeiten am Tisch etwas oberhalb der Ellbogen befinden. Bei höher liegender Tischfläche werden Armbewegungen und Reichweiten eingeschränkt, - eine tiefer liegende Tischfläche verleitet auf Dauer zu körperlich belastendem Beugen über den Tisch (über den Teller oder die Schreib- oder andere Handarbeit. Auch für stehende Erwachsene ist diese Tischhöhe kurzzeitig sehr geeignet, weil sie etwa der Höhe der Hände (über dem Boden) entspricht.1111 (vgl. Abb. 1503 R u. S)
2. Stuhlhöhe (Sitzfläche): 43 bis 48 cm. – Allgemein wird eine Sitzfläche von ca. 45 x 45 cm gewählt. Hintern hinten ist die deutliche Formel für richtiges Sitzen; denn so übernehmen das Gesäß und die Oberschenkel den größten Teil des Körpergewichts, gegenüber den Fußsohlen, die diese Last beim Stehen zu tragen haben, ist das eine relativ große Fläche, auf der dann mehr als das halbe Körpergewicht des Sitzenden lastet, während die Oberschenkel aufliegen und die Unterschenkel auf den Füßen ruhen. Denn die Sitzhöhe der Stühle entspricht mehr oder weniger der Länge der Unterschenkel. Während beim aufrecht stehenden Menschen die (leicht s-förmig gebogene) Wirbelsäule das Körpergewicht ausbalanciert1112 treten beim Sitzen Rückgrat-Belastungen auf, die auf Dauer gesundheitsschädlich (und sehr schmerzhaft) sind, - und die meisten Menschen sitzen heute mehr (als früher) oder fast ständig. Darum muss jede Stuhllehne in Höhe der Lendenwirbel – 12 bis 20 cm über der Sitzfläche – leicht nach innen gebogen sein (das ist die Lendenwirbelbeuge), um hier Stützfunktionen auszuüben. – Bei zu hohen Sitzflächen (> Länge des Unterschenkels) baumeln Füße und Unterschenkel in der Luft, und wenn der Sitz dann noch keine abgerundeten Kanten besitzt, schlafen die Beine bald ein – schlechtes Design (oder: Kinderschicksal). Auch ganz senkrecht stehende Rückenlehnen wirken störend. Und schließlich wird jeder Stuhl durch die rückenden Bewegungen des Sitzenden, durch das oft heftige Hinsetzen und durch Schaukeln ganz erheblich belastet: sein Gestell muss also stabil konstruiert sein, soll aber auf keinen Fall klobig wirken, wer bewegt schon gern allzu schwere Stühle. Designerarbeit!
Abb. 1577: Querschnitt durch einen Kleiderschrank als Beispiel für Normmaße
↓ Türseite Schrankrückwand ↓
Tiefe bezeichnet das Maß zwischen Schranktür und Rückwand des Schranks.
außen: ca. 60 – 64 cm
• = Andeutung der quer angebrachten Kleider- stange im Schrank
Dass in unserer Gesellschaft die Menschen von Generation zu Generation im Durchschnitt immer größer werden, ist vom Design natürlich zu bedenken.1113. Aber hier werden nur einige Normen aufgeführt, teilweise in den inzwischen vorhandenen Variationsbreiten; nicht berücksichtigt werden allerdings Kinder- und Sondergrößen.
- Vom Modedesign wissen Sie – vgl. Abs. 18.2.4, S. 879 ff, wie eng die Bindung an die Ergonomie ist.
- Bei Möbeln ist das ganz ähnlich, nur sind hier die Maße standardisierter1114
- Schränke für unsere Kleidung sind meistens in Abhängigkeit von der durchschnittlichen Schulterbreite bzw. von den herkömmlichen Kleiderbügeln konzipiert. Die sind maximal 45 cm breit, damit die so aufgehängten Garderobenteile nicht zu sehr eingeklemmt werden, weil die Ärmel stets ein wenig nach außen abstehen, gilt für die Tiefe des Kleiderschrankes innen: 56 – 60 cm
- Stühle – Sitzfläche: Breite: max. 48 cm, Tiefe max. 45 cm;Sitzhöhe: (s. v.!) ca. 45 cm; oft Höhe der Lehne: unter 90 cm (Nacken!)
- Sessel - Sitzfläche: innen ca. 55 x 55 cm breit o. breiter, aber nicht tiefer als 60 cm (Länge der Oberschenkel!) - außen: je nach Polstermaterial, aber selten breiter als 100 cm! Die Lehne ist selten höher als 90 cm – Ausnahme: Ohrensessel und Lehn- o. Schaukelstuhl.
- Esstische sind 80 oder (besser) 90 cm breit,
für einen Sitzplatz werden rd. 65 cm am Tisch berechnet, weil ein vollständiges Gedeck für ein 3-Gänge-Menü diesen Platz benötigt. Damit die Tischfläche groß genug ist, wenn alle vier Seiten „bestuhlt“ werden, sind Esstische oft ausziehbar oder länger als nach diesen Normmaßen gebaut:
Beispiele: (alle Angaben in cm) Breite x Länge
für x Personen / für 2 Pers.’ mehr2: 90 x 65 cm 4: 90 x 90 o. 100 x 100 cm 4: 90 x 130 cm 6: 90 x 140 bis 165 cm 6: 90 x 195 cm 8: 90 x 205 bis 230 cm - Besonders wichtig: Küchenmöbel, die auf dem Fußboden stehen, sind alle auf eine Tiefe von 60 cm ausgerichtet: Elektrogeräte und Schränke, ob als Einzelstücke oder in Einbauprogramme integrierbar; nur Hängeschränke sind meistens weniger tief: ca. 40 cm.
- Betten verweisen – neben den Höhen von Arbeitstischen und –platten (S. 943) – am deutlichsten auf das Generationenwachstum, es gibt immer noch Betten von 180 cm Länge, aber 190 und 200 cm sind verbreiteter, die Breitenvariationen sind schon fast beliebig, für entspanntes Schlafen sollte ein Einzelbett jedoch mindestens 80 cm breit sein.
Abb. 1578: Standards für Stuhl- und Tischgrößen
Die Spanne ist ein altes Längenmaß, das früher ungefähr 25 cm umfasste. Normal große Erwachsene mit wenig trainierten Händen werden heute kaum mehr als 20 cm Spannweite erzielen können, - Sportler und Pianisten mit Sicherheit auch 25 cm:
Abb. 1580: Handspanne:
Hellrot: Bei kräftigem Druck der gespreizten Hand auf eine Fläche misst die Linie zwischen den Spitzen von Mittelfinger und Daumen etwa 20 cm.
Orange: 20 cm ist auch die maximale Länge zwischen diesen beiden Punkten bei leicht zusammengezogenen Fingern und Daumen (Kralle); diese Handhaltung benötigen wir immer, wenn wir einen Griff oder einen Hebel betätigen.
Gutes Design zeigt sich, wenn Griffe und Hebel, die zum Gebrauch fest (sicher) zu umfassen sein müssen, im Umfang nicht größer sind als 20 cm bzw. im Durchmesser nicht größer (dicker) als 3 cm.
(Der Kreisumfang ist so groß wie sein Durchmesser mit 3,14 multipliziert: U = d x π)
U: Umfang; d: Durchmesser
(d = 2 r [Radius/ halber Durchmesser]);
π: Pi [griech.’ Bezeichnung für die Ludolfsche Zahl, die für jede Kreisberech- nung benutzt werden muss]:
π = 3,141592653… à → π = 3,14
Wichtiger als eine Fortführung dieser Liste verbreiteter großer Gebrauchsartikel mit feststehenden Normenmaßen, die jeder Verbraucher leicht (im Fachhandel) erhalten kann, ist das kritische Bewusstsein von Designkonzeptionen für einen größeren Gebrauchszusammenhang, z. B. zur Benutzung von technischen Apparaturen – im Haushalt, in der Unterhaltungselektronik, im Pkw oder im so genannten öffentlichen Verkehrsbereich wie bei Fahrkarten- oder Kaffee-Automaten. Dazu sollten Sie noch diese beiden Aufgaben betrachten oder bearbeiten:
Arbeitsaufgabe 212:
Die Hand eines Erwachsenen ist ca. 10 cm breit, und ihre Spannweite misst 25 cm; wenn wir einen Fahrradlenker oder einen Hammer (oder jeden anderen Hebel oder Griff) fest umschließen wollen, darf dieser Griff nicht allzu dünn, er darf aber auch nicht dicker sein als 3, 5 cm* – siehe Kasten rechts. – Überprüfen Sie verschiedene Hebel, Stangen, Stiele und Griffe in Ihrem Haushalt, messen Sie – mit einem Maßband aus dem Nähkästchen – nach und überdenken Sie eine größere Dicke, z.B. bei Gartengeräten, Werkzeugen (Ham- mer, Schraubendreher – s. S. 934), Besen usw.
*: Aber ein Knauf, das kugelförmige Ende eines Hebels o. ein Griff in der Form einer Kugel, kann dicker sein.
Arbeitsaufgabe 213:
Nun sind Sie mit Kritikfähigkeit ausgestattet, betrachten Sie noch einmal die 9 Design-Bereiche (auf S. 933) und die Nutzen-Seite (935) und fertigen Sie eine differenzierte Design-Analyse an:
Nehmen Sie ein einfaches Werkzeug zur Hand (!) - einen Spaten, einen Hammer, eine Gießkanne für den Garten oder für Zimmerpflanzen, einen Schuhanzieher, einen Kleiderbügel, formulieren Sie aus mindestens vier der dort genannten Bereiche Anforderungen, die an das Design „Ihres“ Gerätes zu stellen sind, bedenken Sie auch die Ästhetik!
Beispiel: Hammer - (2) hartes Material: Hammerkopf (Arbeitsteil – AT) aus Eisen; Stiel – handlich, nicht länger als .. cm, Holz, möglichst mit ovalem (nicht ganz rundem) Profil (3); unter 5 €; (7) nicht größer als 3x3 cm am Kopf, auch für kleinere Arbeiten (8) gut; Eisen und Holz: naturfarben, nicht lackiert; AT am Stiel gut verkeilt – sicher, fest.
Abb. 1581: Postmodern - Robert Venturi 1984: Stuhl Queen Anne/ Muster Großmutter KNOLL INTERNAT. [Collins103]
Abb. 1582: Obstschale aus dem Memphis-Design- Programm von 1982 [Guidot 256]
Designer profitieren von der Freien Kunst – und von den Künstlern innerhalb ihrer eigenen Reihen; denn die gibt es durchaus – in jedem Bereich der Gebrauchsgüterwelt, z.B. werden hier einige bei Abbildungen namentlich genannt. Aber die „Zeitmaschine MODE“ verleitet viele Designer zu allzu hektischer Nachahmung von Werbe- u. Formgestaltungen, was weder diesen Innovationen noch den individuellen künstlerischen Qualitäten der Nachahmer zugute kommt. vgl. FN1117
Arbeits- aufgabe 214:
Suchen und dokumentieren Sie nachgemachte (o. ähnliche) Designs (aus Anzeigen): Werbungen u. Produktformen!
Als Verbraucher und Nutzer der Gebrauchsgegenstände vom einfachen Werkzeug bis zum Luxusartikel können wir keinen Einfluss auf deren Design nehmen, es sei denn, eine deutliche Mehrheit von uns entscheidet sich gegen eine Gestaltung. Dann erzwingt der mangelnde Absatz ein anderes Aussehen dieses Objekts, eine bessere Funktionstüchtig- keit, oft genug auch einen deutlich günstigeren Preis. Auf der Billig-Preis-Linie kommen viele Waren mit ausgesprochen schlechtem Design doch noch zum Verbraucher. Darum sind ausgeprägte Kritikfähigkeit und sachbezogenes Bewertungsvermögen die besten, wenn auch die einzigen Hilfen, die man als einzelner Verbraucher einsetzen kann.
Mode-Erscheinungen bringen dabei Vorteile und Nachteile mit sich: Massenhaft ähnlich entwickelte Design-Objekte müssen sich letztlich über einen günstigen Preis auf dem Markt behaupten, und in der Vielfalt der aktuellen Angebote finden sich auch Dinge, die einem über ihren Gebrauchsnutzen auch von ihrer Gestaltung und dem gesellschaftlichen Nutzen her zusagen. Der Zwang, einem Modetrend stets folgen zu müssen, ist dabei jedoch ein Nachteil – vgl. S. 898. Mode-Erscheinungen üben allerdings auch auf die Designer selbst einen oft verhängnisvollen Zwang aus: Sie (oder ihre Auftraggeber) verfallen dem Sog eines aktuellen Trends und folgen ihm ebenso gedanken- wie fantasielos. Leider erfüllt sich ihre Hoffnung auf einen Profit durch ihre Beteiligung an einem Mode-Boom meistens1115, denn die Masse der Verbraucher gehorcht ebenfalls Modezwängen aller Art.1116 Aber weil Mode eine Zeit-Erscheinung ist, erzwingt sie – in der Psychologie von Verbrauchern wie Designern – eine schnelle, oft hektische Beteiligung und beschleunigt so die jeweiligen Mode-Trends. – Wenn Verbraucher meinen, dem Zwang ihrer gesellschaftlichen Umgebung unbedingt folgen zu müssen, kann das verständlich, sogar verzeihlich sein1117, von Designern und Herstellern jedoch möchte man die Individualität erwarten, die sie für ihre Produkte so sehr hervorheben.
Alle Maßangaben beziehen sich auf den Wohnbereich und gelten für Erwachsene, nur selten wird auf Behinderte, auf Kinder und auf berufliche Arbeitssituationen eingegangen – bis auf den Bezug zum Haushalt
Arbeitsplatten in Küchen werden – entsprechend der ständig größer werdenden Erwachsenen – inzwischen 90 bis 100 cm hoch angeboten, damit der stehende Erwachsene (der in der Küche zumeist nur Arbeiten unmittelbar vor seinem Köper verrichtet: am Herd oder anderen Geräten in geringer Reichweite, vor Spülbecken, Schüsseln, Tellern oder Brettchen) in möglichst aufrechter Haltung tätig sein kann – ohne seinen Rücken unangemessen zu belasten.
Für die Balance sorgen der Gleichgewichtssinn und ein eigens entwickeltes und motorisch gesteuertes Muskelsystem, das teilweise auch automatisch – reflexartig – funktioniert (Reflex und Motorik: → INDEX)
Innerhalb der Multi-Kulti-Gesellschaften vieler moderner Nationen bleiben ethnische Gegebenheiten (wie Körpergröße) und Traditionen relativ lange Zeit erhalten. Diese Besonderheiten sollen hier nicht weiter beachtet werden; auf die Körpermaße bezogen, sind sie wegen der Breite des Angebots an Gebrauchsartikeln auch ohne besondere Bedeutung, allenfalls sind Geografische Zonen der Erde kulturgeschichtlich betrachtenswert: → INDEX
Abb. 1579: Klimazonen
standardisieren: das Wort kommt von Standard (= Richtschnur, Durchschnittsmaß) und bedeutet auf ein durchschnittliches Niveau oder Maß bringen, standardisiert: annähernd einheitlich
Profit: Gewinn, finanzieller Nutzen, den jemand aus einer Tätigkeit oder einer Situation, einer Sache zieht; manchmal auch in der Bedeutung von ideellem oder sozialem (nicht nur materiellem) Nutzen bzw. Vorteil
Boom: plötzlicher wirtschaftlicher Aufschwung o. plötzliches allgemeines Interesse an einer Sache
Vgl. Kap. 18.2 – Mode, s. S. 865
Design als Individualitäts-Prothese (→ INDEX) ist eine böse, aber berechtigte Redewendung, die zwar an Verbraucher gerichtet ist – vgl. dazu: blauer Kasten, S. 898, die aber immer häufiger auch auf Werbedesigner und eine ganze Reihe von Industrie-Designern zutrifft: Werbeanzeigen und –spots, aber auch Pkw-Karosserien ähneln sich immer häufiger